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Kristin Peukert11/29/23

Nr.5 - Religion: Friedliche Begegnungen


Kommunistisch erzogen,

im Osten atheistisch aufgewachsen und islamisch geprägt?

 


Um diesen Weg nachvollziehen zu können, möchte ich in meinem Blogartikel die Stationen meines Lebens Revue passieren lassen, bei denen mir ganz entscheidend, indirekt und sacht ein Wink mit dem Zaunpfahl gegeben wurde – in Richtung Glaube, Gottvertrauen und der Hinwendung zum Guten, Wahren und Schönen.

In der deutschen Heimat


Der Gang zur Kirche war an Heiligabend ein wichtiger Brauch in meiner Familie. Als Kind hielt ich während der weihnachtlichen Ansprache immer eine Kerze mit selbstgebastelter Papphalterung in meiner Hand. Das Läuten der Kirchenglocken hat etwas Berührendes und Vertrautes an sich. Mein Vater besaß eine edle Bibel mit rotem Umschlag aus Samt, der mit vergoldeten Metallstreifen verziert war. Ich roch so gern an den Bibelseiten, denn das zarte, pergamentartige, gelbliche Papier hatte schon einige Jahre hinter sich. Die altdeutsche Schrift konnte ich nur mit Mühe lesen. Meine Mutter schenkte mir deshalb eine Kinderbibel, in der ich ein wenig las.

 

Außerdem sah ich im Urlaub viele Kirchen, Klöster oder Dome von innen. Der Geruch dieser alten Gemäuer mit den kalten, oval-förmigen Innenräumen war immer etwas ganz Spezielles. Ich liebte die majestätische Orgelmusik, die sich über die hohen Decken mit einem beeindruckenden Echo ausbreitete. Das schönste Konzert mit Chören habe ich im Berliner Dom erlebt.

Genauso würde ich meine Begegnungen mit der Religion in Deutschland bis 2007 beschreiben.


Tod gehört zum Leben


Nach diesem Jahr änderte sich das, denn mein Vater verließ nach unheilbarem Krebsleiden für immer diese Welt. Plötzlich war die Kirche ein heiliger Ort, der eine Verbindung zwischen ihm und mir herstellen konnte. Ich spendete, zündete Opferkerzen an, saß in andachtsvoller Stille im Gedenken an ihn und trauerte lange.

Damit fand ich auch endlich Zugang zu meiner spirituellen Seite, nachdem ich jahrelang weder an Gott glaubte, noch irgendein Gebet sprach.

Gleichzeitig kämpfte ich jedoch mit einer depressiven Phase, denn mit dem Hinscheiden eines Elternteils kamen alte Erinnerungen hoch, die ich emotional verarbeiten wollte.

Ich verstand, dass ich den Tod als Teil des Lebens akzeptieren musste. Wir erblühen und wir vergehen auch wieder, wie alles Organische auf dieser Erde. Das größte Geschenk, das mein Vater mir hinterließ, war der Kontakt zu meinen Halbgeschwistern, den ich gesucht habe und der bis heute besteht.


Islam und die Angst


Als ich ganz frisch im Jahr 2000 in Berlin-Wedding wohnte, im Hinterhaus mit engen Hinterhöfen, die den Blick in die Räume der Nachbarn offenlegten, hatte ich die erste Begegnung mit dem islamischen Glauben. Es war eigentlich nur ein handgeschriebener Zettel an unserer Wohnungstür, einfach eine nette Einladung einer anderen WG im Hinterhofhaus gegenüber mit dem Hinweis, zusammenzusitzen und gemeinsam eine Sure aus dem Koran zu lesen. Als der Abend nahte, meine Mitbewohnerinnen in die Heimat fuhren und ich allein war, traute ich mich nicht mal, das Licht anzumachen. Die Nachbarn von gegenüber könnten mich ja sehen und bemerken, dass ich ihre Einladung ignorierte. Insgesamt fühlte ich mich damals in diesem Stadtteil sehr unwohl und fremd.

 


In meinem Uni-Gebäude begegnete ich jeden Freitag um die Mittagszeit dem islamischen Gebet. Das Institut für Musikwissenschaft lag im äußersten Flügel, wo sich auf den Fluren des 2. Stocks viele Männer trafen, sodass ich einen Umweg nehmen musste. Ich vermied den Kontakt und bemerkte nur einen leicht unangenehmen Geruch, denn die Herren entledigten sich ihrer Schuhe während dieser merkwürdigen Zeremonie.

Heute weiß ich, dass Männer und Frauen strikt getrennt beten in unterschiedlichen Räumen der Moschee, die komplett mit weichem Teppich ausgelegt sind. Diese Studenten hatten keine andere Möglichkeit in Berlin.


Kontakt zu buddhistischen Bräuchen


2008 besuchte ich für 3 Wochen Thailand und Laos, auch hier werden die Schuhe vor Betreten eines Tempels ausgezogen. Es wirkte auf mich sehr heilig, aber auch befremdlich. Ich sah den morgendlichen Rundgang der sogenannten Bettel-Mönche, die ihre Schalen von den Bewohnern mit Reis und anderem Essen befüllen ließen. Thais glauben, wenn sie sich an der Mönchsspeisung beteiligen, erwerben sie einen ganz besonders hohen Verdienst und eine Segnung. Buddha-Statuen sind im Land in allen Größen zu finden und allgegenwärtig. In öffentlichen Räumen sah ich immer einen kleinen Tempel, aufgebaut in einer Ecke, mit einer Essensspende.

Erster Kontakt zu Muslimen


Meine Angst und Vorurteile gegenüber der arabischen Kultur änderten sich mit meinem Umzug nach Berlin-Neukölln 2014. Vorher hatte ich Klischees im Kopf, dass Araber laut, aggressiv sind, sich von Deutschen isolieren und auf Verkehrsregeln gut und gern verzichten. Ich näherte mich über Lebensmittel sowie frisch gebackenem Fladenbrot der türkischen Kultur an und arbeitete auch eine Weile in einer Kita mit vielen Kindern aus anderen Kulturen. Ich sah eine türkische Kollegin das islamische Gebet in einer Ecke verrichten und erklärte neugierigen Kindern, was sie da auf ihrem kleinen Teppich machte.

 


Im Januar 2015 bereiste ich mit kleinem Budget Marokko und war für 10 Tage in Marrakesch. Dort erlebte ich mit einer guten Freundin die Gastfreundlichkeit einer marokkanischen Familie, Mitarbeiter im Riad gaben uns am Ende der Reise das nötige Taxigeld zum Flughafen, weil unseres aufgebraucht war. Ich dachte, dass ich mit meiner Maestro-EC-Karte Geld abheben kann, da lag ich wohl falsch und ein Freund in Berlin überwies mir 100 Euro per Western Union. Ich erlebte den Gebetsruf, probierte das Kopftuch aus und fühlte mich gut damit und respektiert.

 

Zurück in Berlin ließen mich die Erlebnisse in der fremden Kultur nicht mehr los und allmählich zeichnete sich mein Wunsch ab – ein Neustart, ein wagemutiges, individuelles Leben außerhalb der deutschen Grenzen.


Eine konfessionslose Deutsche im Osten von Marokko?


Da war ich nun angekommen im Jahr 2016 in einem Land, wo Religion täglich präsent ist und 5x der Adhan (Gebetsruf) durch die Stadt schallt. Besonders der nächtliche Ruf hat es mir anfangs angetan. Er klingt wie eine Ermahnung vor den bösen Taten, wie ein geheimnisvoller Klangteppich gottesfürchtiger Stimmen in einer Stadt, die die meisten Moscheen in ganz Afrika hat, nämlich weit über 300.


Eine Bekannte und ihre Mutter nahmen mich erstmals mit in die Moschee, da saß ich in einem muslimischen Gotteshaus und passte auf den kleinen, quirligen Bruder auf. 

 

2017 erlebte ich Ramadan in einem heißen Monat und versuchte mich am Fasten, kein Essen und keine Flüssigkeit vor Sonnenuntergang bei 38 Grad. Anfangs übermannte mich die Müdigkeit, doch mein Körper hielt das Fasten aus.


Während meines Besuchs 2018 in London bei meiner bereits erwähnten Marrakesch-Reisefreundin wurde in der Fußgängerzone über den Islam informiert. Ich zeigte mich offen und ließ mir den Koran und andere Bücher auf Deutsch kostenlos mitgeben. In Berlin hatte ich vorab schon mal in einem „Geo Epoche“ Magazin zum Islam geschnuppert, das damals am Ostkreuz nur an über 18-Jährige (!) verkauft wurde.


 

In 2019 hat mich eine gute Kollegin und Deutschlehrerin zum Ramadan-Monat oft eingeladen, mir die Bräuche, kulinarische Gerichte, das Gebet erklärt und mich in der Heiligen Nacht mit in die Moschee zum Beten genommen. Ich war offen und habe mich langsam an den Islam herangetastet. Als ich im Jahr 2020 im Ramadan allein in der Moschee war, korrigierte eine ältere Frau freundlicherweise meine Fingerhaltung beim Gebet und ich lernte dazu.

 


Schließlich nahm ich im Jahr 2021 die Religion als meine eigene mit Hilfe eines Notars an, um ein Dokument zu erhalten. Interessanterweise wurde meine Konfessionslosigkeit nicht dokumentiert und stattdessen der vorherige christliche Glaube vermerkt, da meine Eltern beide getauft und evangelisch sind. Wenn ich mein Stammbuch betrachte, sind alle vorherigen Familienmitglieder einer Konfession zugeordnet. Erst mit dem politischen System der DDR rückte Religionszugehörigkeit in den Hintergrund, Jugendweihe ersetzte Kommunion und Konfirmation.


Mein Fazit


Religion und Glaube an Gott ist für mich eine reine Privatsache. Jeder soll und darf seinen Zugang zu Gott selbst finden und seine religiöse Seite entdecken. Das gilt auch für binationale Paare. Findet Gemeinsamkeiten und lernt die Unterschiede zwischen euch kennen, bleibt neugierig und offen. Jeder sollte seine religiösen Werte leben können.


Den Glauben an einen Gott haben alle drei Weltreligionen gemeinsam. Wichtig bleibt es, zwischen religiösen Traditionen und wahrem Gottesglauben zu unterscheiden. Gottesfürchtigkeit sollte Menschen nie spalten oder gegeneinander aufhetzen. Herausfordernde Erkenntnisse in Buchform „Wie ich den Islam verließ, um Muslim zu werden“ machen auf diese Gegebenheit und Fehlinterpretationen von Gelehrten aufmerksam.

 


Für mich ist und bleibt es eine lebenslange Herausforderung, einen guten Weg zu Gott und inneren Frieden zu finden.

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